Power and Paychecks - Macht und Löhne
Paul Krugman, NYT , 3.April 2015
( Aus dem Englischen übersetzt von Sabine Tober )

Am Mittwoch hörte man von McDonald’s - bei dem es schon öfter Demonstrationen wegen niedriger Löhne gegeben hat - dass es sein en Angestellten mehr zahlen will. Der Lohnanstieg selbst wird keine große Sache sein: Der neue Grundlohn liegt gerade einmal 1 Dollar über dem örtlichen Mindestlohn, und auch das gilt nur für die Läden, die McDonald’s direkt gehören, nicht aber für die, deren Besitzer eine McDonald’s - Lizens gekauft haben. Aber es besteht immerhin die Möglichkeit, dass es sich bei dieser Bekanntmachung genauso wie bei der Walmarts vor ein paar Monaten, die ja einen bedeutend höheren Lohnanstieg ankündigte, um Vorläufer eines bedeutenden Wandels in den Arbeitgeber - Arbeitnehmer - Beziehungen Amerikas handelt.

Vielleicht ist es ja doch nicht so schwer, Amerikas Arbeitnehmer besser zu bezahlen.

Die meisten Leute würden wahrscheinlich bestätigen, dass stagnierende Löhne und überhaupt die schrumpfende Zahl von Arbeitsplätzen, die ein Mittelstandsdasein erlauben, ein Riesenproblem für unser Land sind. Allerdings ist die generelle Einstellung zum Wegfall guter Jobs eher fatalistisch. Ist denn nicht alles bloß eine Frage von Angebot und Nachfrage? Machen arbeitssparende Technologien und globaler Wettbewerb es nicht geradezu unmöglich, den Beschäftigten gute Löhne zu zahlen, außer wenn sie eine richtig gute Ausbildung haben?

So merkwürdig es klingt, aber je mehr man über Arbeitsmarkttheorie weiß, desto weniger kann man diesen Fatalismus teilen. Zunächst einmal wird der globale Wettbewerb in seiner Bedeutung als Faktor auf dem Arbeitsmarkt überschätzt: Ja, die verarbeitende Industrie muss heute mit viel stärkerer Konkurrenz rechnen als früher, aber die überwältigende Mehrheit der Amerikaner arbeitet in Dienstleistungsbereichen, die internationalem Wettbewerb gar nicht ausgesetzt sind. Auch die Beweise dafür, dass Technologie sich drückend auf Löhne auswirkt, sind weit weniger eindeutig, als man bei all dem Gerede von “Qualifikationsdefiziten“ annehmen könnte.

Noch wichtiger aber ist die Tatsache, dass der Markt für Arbeit nicht so funktioniert wie der für Sojabohnen oder Schweinebäuche. Beschäftigte sind Menschen; Die Beziehungen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer gehen in ihrer Komplexität weit über Angebot und Nachfrage hinaus. Und diese Komplexität bedeutet, dass es sehr viel mehr Spielraum bei Lohnabmachungen gibt, als man gemeinhin denkt. Wenn wir wollen, können wir die Löhne wirklich erheblich anheben.

Woher wir wissen, dass Arbeitsmärkte anders funktionieren? Beginnen wir mit den Auswirkungen des Mindestlohns. Für die gibt es viele Belege: Immer, wenn ein Staat den Mindestlohn anhebt, seine Nachbarstaaten jedoch nicht, ist das ja nichts anderes als ein kontrolliertes Experiment. Und die überwältigende Schlussfolgerung aus diesem ganzen Beweismaterial ist, dass die vielleicht am ehesten erwartete Konsequenz - höherer Mindestlohn führt zu Jobverlusten - tatsächlich nur schwach bis nicht existent ist. Das Anheben des Mindestlohns macht Jobs besser, zu verknappen scheint es sie nicht.

Wie das möglich ist? Zum Teil jedenfalls liegt die Antwort in der Tatsache, dass Beschäftigte eben keine Ware sind. Dem Bushel Sojabohnen ist es egal, was man für es bezahlt hat; Aber anständig bezahlte Beschäftigte leisten normalerweise bessere Arbeit, scheiden auch nicht so leicht aus und müssen also nicht dauernd ersetzt werden, im Gegensatz zu Beschäftigten, die für das absolute Minimum arbeiten, mit dem der Arbeitgeber davonkommt. Bei der Anhebung des Mindestlohns, die nun ja die Arbeitskraft verteuert, gibt es also ausgleichende Faktoren, die eher kostensenkend wirken und damit negative Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt in Grenzen halten.

Ähnliche Faktoren helfen bei der Erklärung eines anderen rätselhaften Phänomens des Arbeitsmarktes: Dass Unternehmen in der scheinbar gleichen Branche so sehr unterschiedliche Löhne zahlen können. Hier ist der klassische Vergleich der zwischen Walmart (mit niedrigen Löhnen, schlechter Moral und einer enorm hohen Fluktuation) und Costco (das höhere Löhne und bessere Zusatzleistungen bietet und die Differenz durch bessere Produktivität und und größere Loyalität seiner Angestellten wettmacht). Nun haben die beiden Handelsketten allerdings eine unterschiedliche Klientel; Costcos Angebot ist hochwertiger und seine Kundschaft wohlhabender. Trotzdem zeigt der Vergleich, dass höhere Löhne den Arbeitgeber viel weniger kosten, als man denken sollte.

Und das wiederum legt die Vermutung nahe, dass es nicht allzu schwer sein sollte, die Löhne insgesamt anzuheben. Unterstellen wir einmal, wir gäben den Beschäftigten durch das Anheben des Mindestlohns eine verbesserte Verhandlungsposition und erleichterten es ihnen, sich zu organisieren. Unterstellen wir aber vor allem, wir strebten die Vollbeschäftigung an, anstatt nach Begründungen dafür zu suchen, dass der Aufschwung trotz der niedrigen Inflation abgewürgt werden muss. Nach all dem, was wir inzwischen über Arbeitsmärkte wisse n, könnten die Auswirkungen erstaunlich groß sein - weil selbst ein kleiner Anstoß ausreichen könnte, viele amerikanische Unternehmen dazu zu bringen, sich von der Niedriglohn - Strategie abzuwenden, die in unserer Gesellschaft schon seit so vielen Jahren dominant ist.

Für einen solchen Lohnanschub gibt es eine historische Präzedenz. Die Mittelschichtgesellschaft, die gerade aus unserem Rückspiegel entschwindet, kam ja nicht aus dem Nichts; Sie wurde weitgehend durch die “große Kompression“ der Löhne i m Zweiten Weltkrieg geschaffen, mit Folgeerscheinungen, die sich über mehr als eine Generation hin bemerkbar machten.

Können wir diese Großtat wiederholen? Die Lohnerhöhungen bei Walmart und McDonald’s - herbeigeführt durch den straffer werdenden Arbeitsmarkt und Druck durch Aktivisten - geben einen kleinen Vorgeschmack auf etwas, das in viel größerem Rahmen stattfinden könnte. Es gibt keine Entschuldigung für Lohnfatalismus. Wir können die amerikanischen Beschäftigten besser bezahlen, wenn wir nur wollen.