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01.12.2011 23:45
Die Deutschen ticken dramatisch falsch
Hamburg - Wer im Glashaus sitzt... In den vergangenen Wochen wurde von den meisten deutschen Medien, insbesondere den elektronischen, wieder einmal eine entscheidende Weichenstellung in der Eurokrise weitgehend übersehen. Das war aber nicht weiter schlimm, weil die gleichen Medien auch die ganze Vorgeschichte dem deutschen Publikum schon erspart hatten, und der deutsche Bürger folglich sowieso nicht verstanden hätte, worum es geht.?  [Quelle: Heiner Flassbeck im Hamburger Abendblatt]  JWD


In Brüssel wurde nämlich schon eine Weile nicht nur die Defizite der Staatshaushalte als Problem diskutiert, sondern auch die Ungleichgewichte in den Leistungsbilanzen, wobei Deutschland mit seinem extrem hohen Überschuss der Exporte über die Importe eine entscheidende, aber keineswegs positive Rolle spielte, führt Flassbeck weiter aus.

Bemerkung: Angesichts der miserablen, undifferenzierten Berichterstattung in deutschen Massenmedien, die so genannten Qualitätsmedien eingeschlossen, ist Flassbecks Ironie in den ersten Sätzen absolut verständlich. Es tut wirklich weh, wenn man beispielsweise in den Nachrichten selbst der Öffentlich- Rechtlichen von ARD und ZDF den gleichen Mist immer und immer wieder anhören muss. Schlechter geht's nicht. Die Bertelsmannsender des Privatfernsehens, mit ihrem schoflen Bildzeitungsjournalismus sind für mich sowieso Tabu.

Die deutsche Position zu den bestehenden Ungleichgewichten in der EU ist geradezu grotesk:

..Die Begründung dafür ist im Kern die Aussage, es könne ja kein wirtschaftspolitischer Fehler sein, wenn ein Land seine Wettbewerbsfähigkeit verbessere, man habe sich ja schließlich in der sogenannten Lissabon-Strategie darauf geeinigt, die Wettbewerbsfähigkeit ganz Europas zu verbessern..., führt Flassbeck aus.

Wie ist dieser vorherrschende Standpunkt zu verstehen?  Es liegt auf der Hand, dass die deutsche Wirtschaftsdoktrin nachweislich zur Überschuldung der Partnerländer führt. In letzter Konsequenz zu Ende gedacht, würden diese Länder alle in die Knie gezwungene, überschuldete, auf Hartz4- Niveau gesetzte Almosenempfänger werden und ein riesiges Arbeitskräftereservoir für Deutschland bieten. Den Niedriglohnsektor könnte man dann gegen 100% ausweiten. Deutschland würde den weltweiten Export für ganz Europa übernehmen und gegen China konkurrieren, dessen Lohnquote zur Zeit nur ein zwanzigstel der aktuellen Europäischen ausmacht. Die Wettbewerbsfähigkeit ganz Euros wäre gemäß den Lissabonner Verträgen verbessert. Was will man mehr.  Ironie?

Wenn es dann gelingen würde, die Wettbewerbsfähigkeit Europas nach deutschen Vorstellungen zu verbessern, wäre dann im nächsten Zug die ganze Welt dran konkurrenzfähiger gemacht zu werden? Schilda lässt grüßen. Was Flassbeck als Grenzbetrachtung anführt, um den Unsinn der Wirtschaftsdogmen neoliberaler Vorstellungen zu verdeutlichen, scheint gleichwohl  in den Köpfen mancher deutscher Ökonomen herum zu spuken.


Albrecht Müller schreibt zum Thema:
[Auszug]
..Die Vertreter der herrschenden Lehre verhalten sich wie kommunistische Kader. Sie predigen ihre angelernten Glaubenssätze: Sparen ist gut. Exportüberschüsse sind gut. Die Stagnation der Löhne ist gut. Wir haben es mit einer Staatsschuldenkrise zu tun. Die Schuldnerländer müssen reformieren. Usw.

Die große Problematik, die daraus folgt, dass sich die Lohnstückkosten in einzelnen Euro Ländern und damit ihre Wettbewerbsfähigkeit diametral auseinander entwickelt haben, wird nicht gesehen und/oder verschwiegen. Selbst die Wirtschaftsteile großer Blätter wie der Süddeutschen Zeitung verschließen die Augen vor dieser Problematik, obwohl diese ungemein gefährlich werden kann. Sie verschließen auch die Augen vor den Folgen eines Auseinanderbrechens des Euro...

Woher dieser uneinsichtige Dogmatismus kommt, kann ich nicht verstehen. Sind diese Menschen alle falsch geschult? Sind sie psychisch seltsam veranlagt, fühlen sie sich nur wohl in der Nestwärme eines Kaders? Ist für sie eigenständiges Denken von Natur aus blockiert? Oder steckt hinter der Ignoranz bei manchen das zynische Kalkül, dass die verfolgte Schockstrategie manchem ihrer Freunde wieder ein neues Feld für Spekulationsgeschäfte und den Raub von Vermögen eröffnet? Die Politik und Wissenschaft als Sekundanten internationaler Schnäppchenjäger? Oder handeln sie im Interesse und Auftrag jener, die ein großes Interesse am Scheitern der kontinentaleuropäischen Einigung haben? – Verschwörungstheoretiker! Das Etikett kenne ich und dennoch wird man angesichts der dramatischen Situation alle notwendigen Fragen stellen müssen... [Ende Auszug]

Gegen die ständig überall propagierte Interpretation, auch von Flassbeck in den Raum gestellt, wonach Deutschland der "Gewinner" der Krise sei, wendet sich Müller mit folgenden Überlegungen:

[Auszug]:
Nun noch die Ergänzung zu Heiner Flassbecks Anmerkungen über die „Gewinner“ der jetzigen gefährlichen Entwicklung:

Er schreibt in seinem Beitrag:
„Wer aber nach dem Spiel einfach festlegt, der Gewinner habe alles richtig gemacht, weil er ja der Gewinner ist, zerstört die Grundlagen für zukünftiges gemeinsames Handeln und des gegenseitigen Handels, weil er das Minimum an Fairness, das jedes kooperative Verhalten voraussetzt, mit Füßen tritt.“

Ich störe mich nur an der darin enthaltenen Wertung, die Deutschen und die deutsche Volkswirtschaft seien die Gewinner der jetzigen Entwicklung mit hohen und andauernden Leistungsbilanzüberschüssen. Wer auf Dauer Leistungsbilanzüberschüsse hat und auf diese Weise Forderungen gegenüber anderen Volkswirtschaften ansammelt ist kein Gewinner. Das erkennt man sofort, wenn man sich eine an realen Größen orientierte Betrachtungsweise angewöhnt. Dann weiß man, dass in einem solchen Fall mehr Güter und Dienstleistungen nach draußen transportiert worden sind, als von dort hierher eingeführt wurden. Es steht uns also für Konsum und Investitionen der hier lebenden Menschen und Unternehmen wie auch für Staatsaufgaben weniger zur Verfügung, als wir erwirtschaftet haben. Teile unserer Wertschöpfung werden nach draußen abgegeben. Ein Dummkopf, wer darin einen Gewinn sieht. Damit meine ich nicht Heiner Flassbeck. Er hat mir im Gespräch sofort recht gegeben.

Aber die Mehrheit der handelnden Personen und die Mehrheit der so genannten Wissenschaftler in Deutschland denkt in monetären Größen und nicht in realen Größen. Diese Leute – wie Frau Merkel zum Beispiel – glauben wirklich, Exportweltmeisterschaft sei etwas Erstrebenswertes. Sie haben immer noch nicht verstanden, dass wir nicht amerikanische Staatsanleihen und auch keine Dollarnoten essen, sondern Bananen zum Beispiel. Und wir arbeiten mit Gütern und Dienstleistungen, die wir von außen beziehen. Oder wir genießen den Urlaub in anderen Ländern. Das sind reale Wohlstandsgewinne. Exporte von Gütern und Dienstleistungen brauchen wir, um diese realen importierten Leistungen bezahlen zu können. Leistungsbilanzüberschüsse brauchen wir nicht.

Mit den Leistungsbilanzüberschüssen erwerben wir Forderungen gegenüber anderen Völkern und Volkswirtschaften. Das kann mal vorübergehend gut sein. Auf Dauer ist es sinnlos. Und es ist auch möglicherweise mit hohen Verlusten verbunden. Wenn nämlich zum Beispiel die in Dollar gehaltenen Forderungen abgewertet werden.

Die Mehrheit der deutschen Wissenschaftler hat leider nie die Theorien studiert, die hinter der zuvor skizzierten Betrachtungsweise stehen. Sie reden zwar ständig von Marktwirtschaft, aber die Theorie von der optimalen Allokation der Ressourcen, die so genannte Welfareconomics, und damit die Basis der Theorie der Marktwirtschaft, haben sie nie gelernt. Das ist eine der Grundlagen ihrer von Vorurteilen angefüllten Ideologie. [Ende Auszug]


Link zum vollständigen Artikel von Heiner Flassbeck ..hier

Link zum Artikel von Albrecht Müller nds.de ..hier

 
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