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27.10.2012 18:35
Grüne Kinderpolitik ade?
BERLIN. (hpd) Es war einmal, da wollten die Grünen weder links noch rechts sondern einfach „vorne“ sein. Vorne - somit auf der Höhe der Zeit und unter Einbeziehung modernster Erkenntnisse, ohne ideologische Scheuklappen und nicht fixiert auf Überkommenes - wollten sie die Probleme dieser Welt angehen und zu lösen versuchen. [Quelle: hpd.de]  JWD

[Auszüge]: Auf manchen Gebieten sind sie auch heutzutage weiterhin dem Mainstream voraus, auf anderen weniger und auf einem Gebiet scheinen sie jetzt auf dem Marsch - nicht nach ganz hinten, aber doch ein gewaltiges Stück - zurück zu sein.

Nun, es geht, wie könnte es anders sein, um die Kinderpolitik der Grünen. Auf diesem Gebiet haben sie Einiges (mit)bewegt in den vergangenen zwanzig Jahren, man denke nur an die Gesetzesänderungen vor zehn Jahren - unter der rot-grünen Bundesregierung -, die die Beachtung des Kindeswohls als Maßstab von Erziehung normierten, Gewalt jeglicher Art (von der körperlichen Züchtigung bis zur psychischen Terrorisierung) gegen Kinder verboten und überhaupt jegliche elterliche Maßnahme, die das Kind entwürdigend behandelt, untersagten. Da hatte sich über lange Jahre ein neuer Zeitgeist mächtig Bahn gebrochen - und die Grünen waren vorne dabei. [..]

Das Wohl und die Rechte der Kinder sollten danach in den Mittelpunkt der politischen Initiative gestellt werden, Kinder wie bis dahin nur in ihrer Rolle als zu erziehendes Objekt zu betrachten - das war nun für das Museum bestimmt. Jedes Kind habe das Recht, sich bestmöglich entwickeln und ein gutes und gesundes Leben führen zu können, [..]. Selbst Kindergrundrechte sollten in den Artikel 6 des Grundgesetzes aufgenommen werden, beim Elternrecht, und offenbar als bedeutsamer Kontrapunkt dazu.

Als historisch bezeichneten die Grünen die Veränderungen, die sie bereits erreicht hätten. [..]

Aber dann kam der 7. Mai 2012. An diesem Tag verkündete die erste kleine Strafkammer des Landgerichts Köln etwas, was danach die einen als von historischer Bedeutung, die anderen als ungeheuerlich, als antireligiös, sogar als antisemitisch, bezeichneten: Eltern seien nicht berechtigt, ihren minderjährigen männlichen Kindern die Vorhaut entfernen zu lassen, wenn es dafür keine medizinische Notwendigkeit gäbe, so das Landgericht, das in seinem Urteil allgemeine und unveräußerliche Menschenrechte erwähnte, die auch minderjährigen Knaben zustehen, etwa das Recht auf körperliche Unversehrtheit, das Recht auf Selbstbestimmung und sogar das eine oder andere mehr.

Nicht die Eltern sollten darüber entscheiden dürfen, ob man dem Knaben unwiederbringlich ein gesundes und funktionsfähiges Körperteil für den gesamten Rest seines Lebens (den größten Teil des Lebens mithin) entferne, sondern - so jedenfalls die Schlussfolgerung aus diesem Urteil - der Knabe müsse in späterem Alter selbst entscheiden dürfen. [..]

Aber nun auf einmal - die Farbe auf dem Urteilspapier war kaum trocken - da sahen (führende) grüne Politiker Kinderrechte anders, da ging es schlagartig nicht mehr um das Kind und seine Rechte, da ging es stattdessen um Religionen, um Traditionen und um Elternrechte. Das Kind, jedenfalls das männliche Kind, wurde plötzlich wieder zum zu erziehenden Objekt. Das sagten sie zwar nicht direkt. Sie äußerten sich öffentlich pro Knaben-Beschneidungen um der Bedeutung religiöser Rituale und Traditionen wegen, über die Kinder als Bürger, als in der Politik zu berücksichtigende Wesen mit eigener Würde, schwiegen sie sich vollständig aus. [..]

Irgendetwas an diesem Vorgehen war manchem Grünen wohl doch nicht ganz geheuer, zumal die öffentliche Debatte immer mehr an Fahrt gewann, und so liegen für den Mitte November in Hannover geplanten Bundesparteitag (Bundesdelegiertenkonferenz) etliche Anträge zum Thema Knabenbescheidungen vor.

[..] In einem der Anträge heißt es deutlich, „die körperliche Unversehrtheit der Kinder ist das elementare Recht, hinter dem die religiösen oder traditionellen Vorstellungen der Eltern oder Erziehungsberechtigten zurückstehen müssen.“

Vom Kind her gedacht, wie dies (offizielle) Programmatik der Grünen ist, sind auch die Vorschläge, wonach der betroffene Knabe selbst entscheiden soll, ab dem Alter von vierzehn Jahren oder wie andere fordern, von achtzehn Jahren. Insgesamt steht der Betroffene im Mittelpunkt der Vorschläge, und die Argumente decken sich weitgehend mit denjenigen der Befürworter der körperlichen Unversehrtheit von Knaben außerhalb der Grünen, insbesondere den modernen medizinischen und psychologischen Erkenntnissen.

[..] Die Antragsteller wollen den gesellschaftlichen Dialog, sie verlangen die Schaffung eines zweijährigen Moratoriums, so wie die Deutsche Kinderhilfe und andere Organisationen und die Einsetzung eines Runden Tisches, an dem „Religionsvertreter, muslimische und jüdische BefürworterInnen und GegnerInnen der Beschneidung, Psychologen, Psychoanalytiker, Kinderärzte, Kinderchirurgen und Vertreter der Jugendhilfe sowie weitere Experten diskutieren und eine Strategie erarbeiten sollen, welche grundsätzlich alle Belange, vor allem die Belange des Kindeswohls berücksichtigt.“

[..] Aber diesen Vorschlägen wollen manche Grüne nicht folgen. Unter dem Titel „Gegen eine Kriminalisierung der männlichen Beschneidung aus religiösen Gründen“ wird die Weiterführung der bisherigen Beschneidungspraxis verlangt (freilich unter Berücksichtigung der „erforderlichen medizinischen und hygienischen Standards“, allerdings ohne dass erläutert wird, was das konkret bedeuten soll.)

Diese Antragsteller wollen selbstverständlich auch keine weibliche Genitalverstümmelung zulassen, diskutieren dies Thema aber nicht und behaupten (unrichtig) dass die männliche Beschneidung sich „grundlegend von der Genitalverstümmelung bei Mädchen und Frauen“ unterscheide. Von unterschiedlichen Stufen weiblicher Beschneidung haben sie offenbar noch nichts gehört, sonst wäre ihnen eine Differenzierung möglich.

[..] Diese Antragsteller, die fast ausnahmslos türkische oder arabische Namen tragen, scheinen in ihrer jeweiligen Tradition verankert zu sein, was unbestritten legitim ist - was aber auffällt, ist, dass sie keinerlei Bereitschaft zeigen, über diese Tradition auch nur ansatzweise zu diskutieren und neue medizinische, kinderpsychologische, sexuelle Forschungsergebnisse zur Kenntnis zu nehmen.

[..] Offenbar herrscht bei diesen Grünen die Auffassung vor, die der Berliner Rabbiner Ehrenberg vehement vertritt: Wir ändern gar nichts und machen einfach weiter wie bisher, wir diskutieren nicht einmal über unsere Rituale und Traditionen!

Rabbiner Ehrenberg ist orthodox und kein Mitglied der Grünen. Dass aber grüne Mitglieder sich der Debatte verweigern, hätte vor einiger Zeit kaum jemand für möglich gehalten. Das widerspricht dem Selbstverständnis der Grünen fundamental. [..]

Unredlich freilich wäre es, unerwähnt zu lassen, dass es auch Grüne mit Migrationshintergrund gibt, die für eine offene und kritische Debatte plädieren.

Es sei nur der Bundestagsabgeordnete Mehmet Kilic genannt, der sich - wie die ZEIT veröffentlicht hat - „mit Grauen“ an seine eigene Beschneidung im türkischen Malatya erinnert. [..]

In einem eigenen Antrag an die BDK äußern sich führende Grüne (Claudia Roth, Renate Künast, Steffi Lemke, Volker Beck, Sven Giegold, Jerzy Montag, Cem Özdemir, Jürgen Trittin u.a.) und fordern, die Beschneidungsdebatte mit gegenseitigem Respekt zu führen; ihr Antrag stellt allenfalls einen Aufruf zum fairen Umgang dar, geben letztlich beiden Seiten - Befürwortern und Gegnern der körperlichen Unversehrtheit des minderjährigen Knaben - irgendwie recht, bleiben in der Sache selbst jedoch substanzlos. [..]

[..] Was letztlich entschieden werden wird auf der Bundesdelegiertenkonferenz im November, ist nicht vorhersehbar. Immerhin zeigt sich in den meisten Anträgen, dass der Geist für (mehr) Kinderrechte, für ein Denken vom Kind her, bei Teilen der Grünen nach wie vor lebendig ist und nicht Ritualen und Traditionen geopfert werden soll. [..]

[..] Ständige Antisemitismusvorwürfe und Beschuldigungen verunmöglichen ein Klima, in dem auf Augenhöhe und rational miteinander diskutiert wird. Auf die wiederholt vorgetragene Behauptung, durch ein Beschneidungsverbot werde jüdisches Leben in Deutschland unmöglich gemacht, hat der Jude Michael Wolffsohn schon das Nötige geantwortet. Diese unzutreffende Behauptung mag in der jüdischen Community weitererörtert werden, taugt aber nicht als Begründung für die Einschränkung von Menschenrechten.

Egal aber, wie die Grünen innerparteilich entscheiden mögen, egal, wie der der Deutsche Bundestag entscheiden wird: Das Thema ist in der Öffentlichkeit, es ist in den betroffenen Communities angekommen. Es wird debattiert und diese Debatte hört nimmermehr auf.

Dafür sorgen (in erster Linie) schon diejenigen weltweit, die sich als Muslime, als Juden gegen dieses archaische Ritual aussprechen, die ihre Kinder nicht mehr beschneiden lassen, und neue medizinische und psychologische Erkenntnisse zur Kenntnis nehmen und weiter verbreiten. Dafür werden jetzt auch Betroffene sorgen: Sie haben sich - jedenfalls in Deutschland - im Jahr 2012 erstmals in die Öffentlichkeit gewagt und ihre teils traumatischen Erlebnisse bei und nach der Beschneidung beschrieben - sie haben ein Tabu gebrochen. Welch ein Mut! [..] [Ende Auszüge]

Link zum vollständigen Artikel bei ' hpd.de '  ..hier


Anmerkung: Der Kommentar von Walter Otte ist wörtlich, jedoch stark gekürzt wiedergegeben. Wichtige Passagen fehlen deshalb in diesen Auszügen. Zum vollständigen Artikel ..hier

 
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