<< zurück | Home | JWD-Nachrichten | Teilen

25.03.2018 00:00
Nichts ist, wie es scheint
Ist Rubikon-Beiratsmitglied Daniele Ganser ein Verschwörungstheoretiker?

In seinem kürzlich erschienenen Buch „‚Nichts ist, wie es scheint‘: Über Verschwörungstheorien“ bezeichnet der Autor, Professor Michael Butter, den Friedensforscher Dr. Daniele Ganser als den derzeit „bekanntesten Verschwörungstheoretiker des deutschsprachigen Raums“ (1). Der Versuch, dies zu belegen, misslingt ihm jedoch. Dennoch ist sein Buch lesenswert.  [Quelle: rubikon.news]  JWD

Von Conrad Knittel  |  RubIKon |  23. März 2018
 

Nichts ist, wie es scheint
Quelle: rubikon.news  (verlinkt)  |  Foto: ktsdesign/Shutterstock.com


Ziel und Aufbau der Studie Butters
 

 
 
 
Butter bezeichnet es als Ziel seines Buches, mit „Mythen“ aufzuräumen, aber nicht nur mit den Mythen der Verschwörungstheoretiker, sondern auch mit denen über sie. Sein Buch „soll zu einem besseren Verständnis des Phänomens beitragen, indem es die Grundlagen, Funktionen, Effekte und die Geschichte verschwörungstheoretischen Denkens vorstellt“ (S. 15).

Außer der Fallstudie zu Ganser im zweiten Kapitel finden sich drei weitere in späteren Kapiteln des Buches: zu Alex Jones, dem Mythos der jüdischen Weltverschwörung und zu Donald Trump. Neben diesen ausführlicheren Beispielen nennt und untersucht Butter viele weitere Beispiele, um einen breiten Überblick über das Phänomen zu bieten.

Vieles von dem, was Butter schreibt, ist sicherlich richtig, wenn auch zuweilen etwas trivial. Hier soll jedoch nicht sein ganzes Buch kritisch durchleuchtet werden, sondern vor allem die Stellen, auf die es bezüglich Daniele Gansers ankommt. Und das ist neben der Fallstudie natürlich das erste Kapitel, in dem Butter den Begriff der Verschwörungstheorie beleuchtet.

Die Herkunft des Begriffs
 „Verschwörungstheorie“


Daniele Ganser zufolge sei es „ganz klar“, dass der Begriff „Verschwörungstheoretiker“ „aus dem Arsenal der psychologischen Kriegsführung“ stamme und „von der CIA erstmals 1967 als semantische Waffe im Informationskrieg etabliert“ worden sei (2). Das Ziel sei es gewesen, Kritiker der offiziellen Version der Ermordung Kennedys zu diffamieren. Diese Sichtweise teilen auch Jens Wernicke und David Talbot in einem Interview, sowie Mathias Bröckers, der intensiv zur Kennedy-Ermordung geforscht hat. Diese Sichtweise beruft sich auf ein freigegebenes Memo der CIA.

Butter widerspricht dem. In dem Memo, das bereits 1976 freigegeben worden sei, werde der Begriff zwar gebraucht, aber nicht erklärt und auch nicht empfohlen, ihn zur Diffamierung zu benutzen. Es sei daher zu vermuten, dass der Begriff 1967 bereits „im alltäglichen Sprachgebrauch verankert“ war (S. 47). Geprägt habe Karl Popper die heutige Bedeutung des Begriffs schon 1945 in seinem Buch The Open Society and Its Enemies. Butter gibt aber zu, dass „auch wenn der Begriff (…) nicht in die Welt gesetzt wurde, um missliebige Alternativversionen zu diskreditieren, steht außer Zweifel, dass dies eine seiner wichtigsten Funktionen im alltäglichen Diskurs ist“ (S. 47).

Eine gemeinsame Basis haben diese Forscher also immerhin, auch wenn sie sich nicht einig sind, wer von ihnen nun Verschwörungstheoretiker ist und wer nicht. Wer Verschwörungstheoretiker schreit, will entwerten, ohne argumentieren zu müssen.

Zum Begriff der Verschwörungstheorie

Eine Verschwörungstheorie besagt laut Butter, dass „eine im Geheimen operierende Gruppe, nämlich die Verschwörer, aus niederen Beweggründen versucht, eine Institution, ein Land oder gar die ganze Welt zu kontrollieren oder zu zerstören“ (S. 21). Die meisten Menschen, die diesen Begriff benutzen, „im alltäglichen wie auch im wissenschaftlichen Diskurs“, meinten ihn abwertend, und zwar, weil es zwar Verschwörungen gebe, Verschwörungstheoretiker aber „fast immer viel umfassendere und ambitioniertere und daher unmöglich zu realisierende Komplotte imaginieren“.

Ihre Verschwörungstheorien seien daher also – zumindest fast immer – falsch. Außerdem gingen sie von „einem falschen Menschen- und Geschichtsbild aus“ (S. 22). Denn weder menschliches Verhalten noch der Verlauf der Geschichte seien so plan- und kontrollierbar, wie es sich Verschwörungstheoretiker ausmalten.

Unter dem Stichwort „Die typischen Charakteristika“ erläutert Butter dann vier Grundannahmen einer Verschwörungstheorie, die er von Michael Barkun, einem amerikanischen Politikwissenschaftler, und Geoffrey Cubitt, einem britischen Historiker, übernimmt:
  1. Nichts geschieht durch Zufall.
  2. Nichts ist, wie es scheint.
  3. Alles ist miteinander verbunden.
  4. Es gibt einen Dualismus von Gut und Böse.
Sodann zeigt Butter, dass sich diese Grundannahmen in einem Artikel von Eva Herman – „Einwanderungs-Chaos: Was ist der Plan?“ – wiederfinden, und bespricht nebenbei weitere Charakteristika. So sei es typisch, dass (5.) die Verschwörer als hierarchisch organisiert gedacht würden, wer genau die „mysteriösen Verschwörer“ jedoch seien, bleibe (6.) meistens unklar. Ein weiteres typisches Merkmal sei, dass (7.) die Verschwörungen als „schon sehr lange im Gang“ dargestellt würden (S. 26).

Wir haben also insgesamt sieben Charakteristika zur Hand, von denen Butter zwar nie explizit sagt, dass er sie als Arbeitsdefinition übernimmt. Da er aber nichts anderes anbietet und sie im Folgenden die meiste Zeit in dieser Funktion nutzt, können wir ihn an diesem Maßstab messen. Insbesondere muss Butter zeigen, dass diese Merkmale – oder zumindest die meisten oder wichtigsten – auf das von Ganser verbreitete Gedankengut zutreffen.

Die Fallstudie zu Daniele Ganser

Es gibt Verschwörungstheorien, die „ganz explizit alternative Erklärungen“ für ein Ereignis bieten. Andere konzentrierten sich „vor allem auf das Aufdecken solch vermeintlicher Ungereimtheiten und entwickeln ihre eigene Version des Geschehenen nur implizit“ (S. 81). Dadurch machten sie sich weniger angreifbar, müssten keine Schuldigen benennen und ließen Raum für ihre Zuhörer oder Leser, das entstandene Vakuum mit eigenen Vorstellungen zu füllen.

Verschwörungstheoretiker, die diese Strategie verfolgen, wiesen auch oft den Vorwurf von sich, Verschwörungstheoretiker zu sein, sie stellten lediglich Fragen – und diese Technik hätte Daniele Ganser perfektioniert (S. 83).

Butter beginnt seine Fallstudie mit einem kurzen Überblick über Gansers Karriere, der allerdings etwas verkürzt scheint. So erweckt Butters Darstellung den Eindruck, Ganser habe eine unsaubere Promotion abgeliefert – immerhin widmet er diesem Seitenhieb eine Fußnote –, habe seine beiden anschließenden akademischen Positionen jedoch bald verloren, „weil er sich ab 2005 zunehmend kritisch über die offizielle Version der Anschläge des 11. Septembers 2001 äußerte“. Er hätte dann lange Zeit nichts getan, denn erst 2011 gründete er das Swiss Institute for Peace and Energy Research und lebe seitdem „von seiner Publikations- und Referententätigkeit“ (S. 84).

All dies weiß Butter wohl vom Hörensagen, denn er nennt keine Belege. Laut Gansers offizieller Internetseite hat er bis 2006 an der ETH Zürich gearbeitet und hatte von 2006 bis 2015 einen Lehrauftrag an der Universität Basel, von 2012 bis 2017 an der Universität St. Gallen.

Mir leuchtet nicht direkt ein, warum eine Darstellung der Karriere Gansers überhaupt eine Rolle spielt bei der Frage, ob er ein Verschwörungstheoretiker ist. Der Verdacht liegt aber nahe, dass es Butter darum gehen könnte, ihn als unseriösen Forscher darzustellen.

Der Vortrag vom 15. Dezember 2014

Butter stellt korrekterweise fest, dass Ganser mehr tut, als lediglich Fragen zu stellen. Daraus folgt aber nicht direkt, dass Ganser als Verschwörungstheoretiker einzuordnen sei. Wichtig ist ja vielmehr die konkrete Auseinandersetzung, worin dieses „mehr tun“ besteht, insbesondere, ob es die Kriterien erfüllt, die Butter ja selbst aufgestellt hat. Um dies zu zeigen, analysiert Butter einen Vortrag Gansers im Detail und erwähnt nebenbei ein paar andere, wobei unklar bleibt, wie intensiv und unvoreingenommen sich Butter wirklich mit Gansers Vorträgen auseinandergesetzt hat.

Butters erste Beobachtung ist, dass Ganser ein „charismatischer Redner“ sei, sein ganzer Auftritt professionell, dies verleihe ihm Autorität, die er zudem auch für sich reklamiere, indem er seine „Rolle als Wissenschaftler und somit als Experte für das Thema“ betone (S. 85), dass er ein nach Wahrheit Suchender sei und lieber seine Position in der Uni aufgegeben habe, als diese Suche aufzugeben. Butter scheint Ganser vorwerfen zu wollen, dass er sein Publikum nicht langweilt, denn hier zeigt er nicht auf, dass Ganser es täuscht oder manipuliert.

Butters weitere Beobachtungen:
  1. Ganser stelle die oft von Verschwörungstheoretikern gestellte Frage „Cui bono?“ (Wer profitiert?) zwar nicht explizit, aber sie strukturiere seine Ausführungen.

     
  2. Er „insinuiert (...), die amerikanische Regierung stecke hinter den Anschlägen von 9/11, da sie einen Vorwand gebraucht habe, um, wie bereits länger geplant, im Irak einzumarschieren und an dessen Ölreserven zu kommen“. Deshalb rede Ganser über die Abhängigkeit des Westens vom Öl und zeige sogar einen Ausschnitt aus dem „offensichtlich verschwörungstheoretischen“ Film The New American Century.

     
  3. Er verdrehe „die Fakten“, wenn er auf das Strategiepapier des neokonservativen Thinktanks „Project for a New American Century“ hinweise, in dem eine stärkere Militärpräsenz im Nahen Osten gefordert wird, zusammen mit dem Hinweis, dieser Prozess werde lange dauern, „es sei denn, ein katastrophales Ereignis beschleunigt die Entwicklung, zum Beispiel ein neues ‚Pearl Harbor‘“ (S. 87), um dann zu behaupten, nach 9/11 hätten „einige Forscher“ gefragt, „ob es einen Zusammenhang zwischen dem Strategiepapier und den Anschlägen gebe.“ Die Fakten verdrehe Ganser, weil Butter keine seriösen Wissenschaftler bekannt seien, die dies gefragt hätten, lediglich solche, die Parallelen von 9/11 zu Pearl Harbor gesehen hätten. Zudem impliziere Ganser damit, „dass es die Neocons waren“ und spiele auf die dem geneigten Publikum bekannte Verschwörungstheorie zu Pearl Harbor an, nach der auch dieses von der Regierung zugelassen worden sei.

  4. Er stelle die offizielle Version zu 9/11 und zwei alternative Versionen als gleichwertig dar und bezeichne alle drei als Verschwörungstheorien, verschweige dabei, dass sich die offizielle „was die Ziele und den Umfang angeht, beträchtlich von den beiden anderen“ unterscheide (S.88).

  5. Er zeige „direkt nach den Ausführungen zu den drei Versionen ein Foto der Bush-Regierung“ und impliziere durch eine Anekdote, diese sei kriminell gewesen, rekapituliere dann die Irakkriegslüge zu den Massenvernichtungswaffen und impliziere damit, wenn die Regierung 2003 gelogen habe, dann hätte sie bestimmt auch an anderer Stelle die Wahrheit verschwiegen (S. 89).

  6. Mit seiner Darstellung der Brutkastenlüge verstärke Ganser noch weiter den Eindruck, der amerikanischen Regierung sei nicht zu trauen, obwohl diese Propagandalüge nachweislich von einer amerikanischen PR-Firma im Auftrag der kuwaitischen Regierung, aber ohne Wissen – geschweige denn Beteiligung – der amerikanischen Regierung lanciert worden sei. Ganser bemühe zudem die Folgerung: Wie der Vater, so der Sohn, da die beiden Ereignisse in die Regierungsperioden von Bush Senior und Junior fallen (S. 90).

  7. „Wie viele Verschwörungstheoretiker“ konzentriere sich Ganser auf den Einsturz des WTC7. Er betone, dass dieser Einsturz im offiziellen Bericht nicht erwähnt und daher auch nicht erklärt wird – dies sei ebenfalls typisch für Verschwörungstheoretiker – verschweige dabei aber, dass „auch der Zusammensturz der anderen Gebäude im Bericht nur kurz erwähnt wird“. Die Zusammenstürze zu erklären sei ja auch gar nicht Aufgabe des Berichts gewesen, sondern „die Sicherheitslücken zu untersuchen, welche die Anschläge ermöglichten“ (S. 91).

  8. Ganser zitiere einen Baustatiker der ETH Zürich: Das Gebäude sei wahrscheinlich gesprengt worden. Auf den Videoaufnahmen sehe es tatsächlich danach aus und die US-Katastrophenschutzbehörde FEMA habe 2002 ebenfalls zugegeben, den Einsturz aufgrund eines Feuers noch nicht erklären zu können – da es aber außer dem merkwürdigen Einsturzverhalten keine weiteren Hinweise auf eine Sprengung gebe, sei dies ein „klassischer Fall von errant data“ und zu vernachlässigen. Außerdem habe NIST 2008 einen Bericht vorgelegt, der darlege, wie das Feuer zum Einsturz von WTC7 führen konnte, diesen verwerfe Ganser aber aus unsachlichen Gründen. Ganser vergesse nicht zu erwähnen, dass die CIA, der Secret Service nebst anderen Regierungsorganisationen Räume im WTC gemietet gehabt hätten, insinuiere damit, im Gebäude habe es etwas zu verbergen gegeben.

  9. Er weise auch darauf hin, BBC habe 20 Minuten zu früh vom Einsturz berichtet. Dies ließe sich – laut Butter – aber ganz leicht damit erklären, dass es sich um eine Falschmeldung handelte, weil schon vor dem Einsturz befürchtet worden sei, es würde einstürzen. (Dies erklärt Butter bereits etwas früher, S. 80.)
Butters Fazit möchte ich in voller Länge zitieren:
    „Insgesamt ergibt sich somit ein eindeutiges Bild: 9/11 war keine Attacke islamistischer Terroristen, von der die US-Regierung überrascht wurde; es war auch kein Terrorakt, den sie geschehen ließ, um ihn danach politisch auszuschlachten. Vielmehr ist die Regierung selbst für die Anschläge verantwortlich. Das sagt Ganser zwar niemals explizit, aber das muss er auch nicht. Was er anspricht und was er auslässt, wie er bestimmte Themen behandelt und wie er einzelne Punkte zu einem Gesamtbild arrangiert, wie er alle Strategien nutzt, die weiter oben diskutiert wurden, lässt letztendlich nur diese Deutung zu“ (S. 93).
An späteren Stellen seines Buches deutet Butter an, dass Ganser wohl aus finanziellen Motiven Verschwörungstheorien verbreite (S. 113, 130f.).

Antworten auf die Vorwürfe

Es stimmt, dass Ganser einen Zusammenhang herstellt zwischen dem Interesse der USA am Nahen Osten und der Tatsache, dass dort das meiste Erdöl gefördert wird, von welchem der Westen abhängig ist. Und es stimmt, dass er die Frage nach 9/11 in diesen Kontext einbettet. Das sagt er ja auch selbst anlässlich seiner Gliederung des Vortrags. Aber Butter scheint hier von einem Schwarz-Weiß-Denken besessen zu sein, das er an anderen Stellen seinerseits kritisiert. Denn Ganser zeigt hier nicht – und behauptet auch nicht – dass die US-Regierung „hinter den Anschlägen von 9/11“ steckt, sondern, dass sie diesen Anschlag zu ihren Zwecken nutzen konnte. Insofern stellt er auch implizit die Frage, wem 9/11 genutzt hat.

Was nun das unter 3. dargestellte Faktenverdrehen angeht, so kommt mir Butters Einwand sehr spitzfindig und dünn argumentiert vor. Denn erstens kann Butter überhaupt nicht wissen, ob „einige Forscher“ in Gansers Umfeld diese Fragen so gestellt haben – und mehr behauptet Ganser ja nicht – und zweitens stimmt es nicht, dass aus diesem Zusammenhang folge, „dass es die Neocons waren“ - nur, dass sie diese Idee geliefert haben, was sie faktisch ja auch getan haben. Auch dass Pearl Harbor zu anderen Zeiten zu anderen Gerüchten geführt hat, kann Butter Ganser hier nicht anlasten, denn Ganser hat den Begriff Pearl Harbor ja nicht willkürlich in seinen Vortrag gesetzt, sondern er kommt nun einmal an dieser – für ihn – entscheidenden Stelle im Strategiepapier vor.

Zum 4. Vorwurf kann ich nicht viel sagen, weil ich die erste Hälfte nicht verwerflich finde und nicht verstehe, was Butter in der zweiten sagen will, wenn es um die Ziele und den Umfang geht.

Auch zu 5. kann ich den Vorwurf nicht nachvollziehen. Wenn die Bush-Regierung 2003 gelogen hat, als es um den Irakkrieg ging, dann kann man daraus schlussfolgern, dass es für die Verantwortlichen kein moralisches Problem darstellt, zu lügen. Daraus kann man außerdem folgern, dass sie lügen werden, wenn es ihnen opportun erscheint. Und genau das zeigt Ganser.

Zu 6. muss man sagen, dass Ganser hier etwas falsch darstellt, wenn Butter Recht damit hat, dass die US-Regierung, insbesondere Bush Senior nicht wussten, dass es sich bei der Brutkastenlüge um falsche Propaganda handelte. Dies müsste man genauer untersuchen, wenn es besonders relevant wäre. Es scheint mir allerdings kein wesentliches Detail zu sein.

Ich denke, der Hauptkritikpunkt ist aber, dass Ganser so fixiert auf das WTC7 zu sein scheint – auf die Frage: Feuer oder Sprengung? Das gefällt Butter nicht, denn das machen ja „viele Verschwörungstheoretiker“. Ich denke, wenn Ganser sich auf die Darstellung der anderen Punkte beschränkt hätte und nie an der offiziellen Version von 9/11 Zweifel geäußert hätte, würde Butter ihn nicht als Verschwörungstheoretiker bezeichnen.

Dabei ist auffällig, wie Butter selbst argumentiert. Gansers Aussagen zu WTC7 betreffen ja im Wesentlichen drei Punkte:
  1. Das Gebäude ist eingestürzt. Auf dem Videomaterial sieht man, dass es symmetrisch fällt, wie bei einer Sprengung.

  2. Im offiziellen Untersuchungsbericht wird WTC7 nicht erwähnt. Die FEMA gibt 2002 an, keine Erklärung für den Einsturz zu haben. Die NIST veröffentlicht 2008 einen Bericht, demzufolge Feuer zum Einsturz führte. Diesen Bericht hält Ganser, in Rücksprache mit Bauingenieuren, für unglaubwürdig.

  3. Die Medien haben nicht über den Einsturz von WTC7 berichtet, mit Ausnahme von BBC, die 20 Minuten vor dem Einsturz darüber berichteten.
Butter bestreitet nun keinen dieser Punkte, sondern spekuliert über mögliche Erklärungen für die Auffälligkeiten. Seine Erklärung für die zu frühe Meldung durch BBC ist durchaus möglich. Auch dass der offizielle Bericht WTC7 nicht erwähnt, ist für ihn kein Problem. Und dass nicht so richtig erklärt werden kann, wieso WTC7 anscheinend im freien Fall zusammenbrach, wie es normalerweise nur nach einer präzisen Sprengung passieren kann, ist dann halt errant data. Also ein Messfehler – doch was soll das in diesem Kontext heißen?

Butter wirft, zu guter Letzt, Ganser vor, dass er vorbringt, WTC7 sei kein „normales Gebäude“ gewesen, und die Aussagen anderer zitiert: „Vielleicht wurde WTC7 als Kommandozentrum genutzt.“ Ganser sagt darauf: „Aber das ist Spekulation. Das wissen wir nicht.“ Butter unterstellt Ganser wohl, dass er nur zur Show so zurückhaltend tue, und „insinuiert“ seinerseits, einen guten Grund für seine Unterstellungen zu haben, den er aber nie ausführt.

Ist Dr. Daniele Ganser ein
Verschwörungstheoretiker?


Die Frage ist so falsch gestellt, denn die Antwort hängt natürlich davon ab, wie man den Begriff verwenden will. Die Frage, die sich Butter zumindest selbst stellen sollte, ist eigentlich: Habe ich gezeigt, dass Daniele Ganser ein Verschwörungstheoretiker ist? Und er müsste sie mit „Nein“ beantworten. Denn er hat nicht gezeigt, dass Ganser die Grundannahmen hat:
  1. Nichts geschieht durch Zufall.
     
  2. Nichts ist, wie es scheint.
     
  3. Alles ist miteinander verbunden.
     
  4. Es gibt einen Dualismus von Gut und Böse.
Er hat sicherlich die folgenden Grundannahmen, die die meisten Menschen, insbesondere Historiker wohl teilen, da sie sonst gar keinen Forschungsgegenstand hätten:
  1. Manches geschieht durch Zufall, anderes nicht. (Aber Gebäude fallen nicht zufällig in sich zusammen, als wären sie gesprengt worden.)

  2. Manches ist, wie es scheint, anderes nicht. (Menschen, auch Politiker lügen viel.)

  3. Manche Dinge sind miteinander verbunden. (Manche Menschen und Gruppen verfolgen über Jahre hinweg eine gleich bleibende Agenda. Es ist daher durchaus möglich, dass der Krieg 2001 in Afghanistan und der Krieg 2003 im Irak, die ja von der gleichen Regierung geführt wurden, aus ähnlichen Motiven heraus geführt wurden.)

  4. Gerade zum Dualismus zwischen Gut und Böse äußert sich Ganser in dem von Butter untersuchten Vortrag und auch in vielen anderen Vorträgen. Er zitiert Volker Pispers mit den Worten: „Wenn der Feind bekannt ist, hat der Tag Struktur.“ Vielleicht hat Butter das auch nicht verstanden, aber damit will er sagen, dass es nicht gut ist, sich irgendwelchen Feindbildern hinzugeben. Sehr eindrucksvoll hat Ganser dies auch bei der Gesprächsrunde der Tagung Krieg und Frieden in Bamberg ausgeführt. Er beobachte das Schema „teilen – abwerten – töten“ und schlägt stattdessen, in Anlehnung an Ausführungen Heinz Grills vor, man solle doch stattdessen „verbinden – aufbauen – verwandeln“. Es ist doch interessant, dass der gemeinsame Nenner der Vorträge Gansers sein Beharren auf der Möglichkeit von Frieden ist und dass Butter diese Tatsache nirgends erwähnt.
Auch die Merkmale 5 und 7 lassen sich nicht auf Ganser beziehen. Er entwirft keine Hierarchien der Bösewichter, und die „Verschwörung“ ist auch nicht seit langer Zeit im Gang. Es stimmt, dass Ganser offen lässt, wer wirklich für 9/11 verantwortlich ist, aber er nennt relativ präzise Kandidaten: Osama Bin Laden laut offizieller Version, die Bush-Regierung oder Teile derselben laut LIHOP und Bin Laden und Geheimdienste zusammen laut MIHOP. Anders als Butter habe ich aber nicht den Eindruck, dass Ganser ganz klar für MIHOP plädiert.

Wofür man Ganser kritisieren könnte

Man könnte kritisieren, dass Ganser der Frage nach 9/11 zu viel Gewicht beilegt – denn auch wenn 9/11 der offiziellen Version nach verlaufen ist, rechtfertigt dies nicht die darauf folgenden Kriege im Namen des „war on terror“.

Es ist selbstverständlich auch berechtigt, zu hinterfragen, ob Ganser manche Dinge zu vereinfacht darstellt, oder ob er ausreichend kritisch mit seinen Quellen umgeht. Das ist aber eine Frage, der sich alle Menschen stellen müssen, die sich öffentlich äußern.

Man kann natürlich auch darauf beharren, Ganser einen Verschwörungstheoretiker zu nennen, weil er die Möglichkeit aufwirft, dass es eine Verschwörung hinter 9/11 gibt. Dann muss man aber entweder aufzeigen, warum dies verwerflich ist, oder erklären, dass man den Begriff gar nicht abwertend meint – und warum man ihn dann trotzdem unbedingt benutzen will. Außerdem benutzt man den Begriff dann nicht, wie ihn die Forschung zu Verschwörungstheorien – laut Butter – verwendet.

Wofür man Butter kritisieren könnte

Butter zeigt wenig Interesse daran, darüber nachzudenken, wie Begrifflichkeiten und Welt eigentlich zusammenkommen. Die Welt lässt sich – das scheint er vorauszusetzen – ganz klar in verschiedene Arten von Dingen teilen und diesen dann präzise ein Begriff zuordnen. Etwas ist entweder eine Verschwörungstheorie, oder es ist keine. (Sein Desinteresse an philosophischen Fragen zeigt sich ebenfalls an seiner nahezu inexistenten Auseinandersetzung mit dem Gedankengut Foucaults und Poppers. Den ersten verwirft er rasch, den zweiten referiert er unkritisch.)

Dabei scheint es gerade bei den Charakteristika, die er aufzählt, viele Abstufungen zu geben, und dies ernst zu nehmen würde auch ein anderes Licht auf die Typologien der Verschwörungstheorien werfen, wenn sie überhaupt als eine eigenständige Sache bestehen blieben. Denn wie Thomas von Aquin sagte: „Das erste, was man von einem Ding wissen muss, ist doch eben dies, ob es überhaupt da ist.”

Ich war vor der Lektüre Butters nicht überzeugt, dass man den Begriff überhaupt sinnvoll benutzen kann. Butter hat mich überzeugt, dass es geht – dass man aber sehr viel vorsichtiger damit umgehen muss, als er selbst es ist. Denn der Begriff ist unheilbar abwertend, da kann Butter noch so sehr behaupten, er könne ihn doch auch rein sachlich-wissenschaftlich einsetzen. Diese Idee ist naiv, denn so wird ihn niemand verstehen.

So wie Temperatur in einer kontinuierlichen Skala gemessen wird, bei der heiß auf der einen Seite, kalt auf der anderen zu verorten ist, es aber dazwischen und darüber hinaus weitere mögliche Abstufungen gibt, so gibt es – wie oben gezeigt – auch mögliche Positionen zwischen „Alles hängt miteinander zusammen“ und „Nichts hängt miteinander zusammen“. Ebenso mit „Nichts ist, wie es scheint“ und „Alles ist, wie es scheint“. Manches ist nämlich nicht, wie es scheint, anderes schon. Eigentlich trivial.

Eigentlich weiß Butter das auch. Denn er versucht gar nicht erst, Gansers Vortrag in die Charakteristika zu pressen, die er im zweiten Kapitel selbst eingeführt hat, sondern betreibt die Einordnung Gansers als Verschwörungstheoretiker eher aufgrund von Familienähnlichkeit.

Butter zeigt in seiner Analyse zwar für keines der Kriterien auf, dass Ganser es erfüllt, aber irgendwie scheint ihm das, was Ganser macht, hinreichend ähnlich zu sein, dass man ihn trotzdem da rein stecken kann: in die Schublade Verschwörungstheoretiker. „Ich erkenne sie, wenn ich sie sehe“, wie Butter den amerikanischen Richter Potter Steward bezüglich der Pornographie – eigentlich nicht wohlwollend – zitiert. Immer wieder warnt Butter davor, den Begriff unsauber zu verwenden, nur um ihn dann selbst anzuwenden, wo und wie es ihm beliebt.

Hierzu verfolgt er eine allgemeine Strategie, die auffällig häufig angewendet wird. Und zwar werden „Verschwörungstheorien“ jeder Couleur in einen Topf geworfen (beispielsweise S. 11, S. 43, S. 44). Die „Verschwörungstheorien“ werden nicht nach Plausibilitätsgrad eingeteilt, denn für Butter sind sie alle gleich absurd. Schwarz-Weiß-Denken. Nicht wie bei den Temperaturen.

Aber ist die Idee, dass Kennedy nicht von einem Einzeltäter ermordet wurde, oder dass etwas faul ist an der offiziellen Version zu 9/11 wirklich gleich (un)plausibel wie das, was Butter eine Superverschwörungstheorie nennt, zum Beispiel, dass die Welt eigentlich von außerirdischen Reptilien beherrscht wird, wie David Icke es laut Butter verbreitet?

Das wirft die Frage auf, ob Butter – trotz seiner anders lautenden Lippenbekenntnisse – voreingenommen ist.
 
 

Oder eben: Teil einer „Verschwörung“.

Unterstützen Sie unabhängigen Journalismus! 

 

Quellen und Anmerkungen:

    (1) Butter, M.: „Nichts ist, wie es scheint“ - Über Verschwörungstheorien. Berlin 2018. S. 58, erneut auf S. 83. Im weiteren werden Zitate direkt im Text mit Seitenzahlen belegt.
    (2) Wernicke, J.: „Lügen die Medien?“ Propaganda, Rudeljournalismus und der Kampf um die öffentliche Meinung. Frankfurt/Main 2017. S. 253.


 

Conrad  Knittel
Quelle: rubikon.news(verlinkt)
  Conrad Knittel,

Jahrgang 1988, studierte Philosophie und Anglistik in Heidelberg. Nebenbei schreibt er seit Jahren an einem Roman und beschäftigt sich autodidaktisch mit möglichst vielen Feldern des Wissens, darunter Geschichte, Esoterik und Naturwissenschaften. Seit kurzem lebt er in Reutlingen und arbeitet als Lehrer.

Dieses Werk ist lizenziert unter einer Creative Commons Namensnennung - Nicht kommerziell - Keine Bearbeitungen 4.0 International Lizenz.

Creative Commons Lizenzvertrag

Link zum Originaltext bei ' rubikon.news '  ..hier


Passend zum Thema:

01.02.2017  00:00
Dr. Daniele Ganser über Terror-Frame und Syrien-Krieg
„Es gibt nur ein perspektivisches Sehen“ - Diese Erkenntnis von Friedrich Wilhelm Nietzsche hat Folgen, wenn man sie wirklich versteht. Nach Nietzsche existiert das, was man Objektivität nennt, überhaupt nicht. Objektivität ist immer abhängig vom Standpunkt des Betrachters. Objektivität ist immer das Resultat eines Prozesses, bei dem die eigene Position und Meinung massiv zu dem beiträgt, was man später DIE Wahrheit nennt. [KenFM] JWD  ..weiterlesen
 

<< zurück | Home | Tags: Dr. Daniele Ganser, Prof. Michael Butter, Verschwörungstheorie