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| 19.06.2018 22:00 Ein Russisches Sommermärchen Es steht außer Frage, die Stimmung hier ist einzigartig. Wer sich an den Fußballsommer im Jahr 2006 in Deutschland erinnern kann, der hat in etwa eine Ahnung, was aktuell gerade in Russland passiert. Am Samstag bin ich aus Deutschland angereist. Man könnte es auch eine Flucht nennen. Eine Flucht vor einer erschreckend niederträchtigen Berichterstattung in den deutschen Medien gegenüber Russland... [Quelle: nds.de] JWD Von Gert-Ewen Ungar | Quelle: nds.de | 19.Juni 2018 ...Eine Flucht vor einer erschreckend niederträchtigen Berichterstattung in
den deutschen Medien gegenüber Russland. Noch in Deutschland habe ich mir am Tag
der Eröffnung die Übertragung und das Rahmenprogramm in der ARD angeschaut. Ich
war zutiefst erschrocken, zutiefst schockiert. Ein exklusiver Reisebericht aus
Russland von Gert-Ewen Ungar[*].
Jedenfalls ist die deutsche Berichterstattung gegenüber Russland inzwischen eine absolute Unverschämtheit. Sie ist eine Unverschämtheit gegenüber Russland und den russischen Bürgern, aber sie ist auch eine Unverschämtheit gegenüber Deutschland und seinen Bürgern, da der einseitige und einfach grottenschlechte Journalismus sie über bedeutende Entwicklungen im größten Land Europas in Unkenntnis lässt, ja sogar absichtlich fehlinformiert. So floh ich am Samstag vor all der Niedertracht und stellte bereits am Flughafen in Sankt Petersburg fest: Es gibt auch Fußballübertragungen ohne Propaganda. Eine bunte Menge versammelte sich in einem Restaurant vor einem Monitor und fieberte mit den kontrahierenden Mannschaften. Der Kommentator des russischen Fernsehens kommentierte ausschließlich das Spiel und nicht die Politik. Kein Seitenhieb, keine böswillige Unterstellung, keine Überheblichkeit. Es war wohltuend. Entgegen aller Vorwürfe scheint mir, dass es Deutschland ist, das die WM zur Agitation nutzt. Russland tut es nicht. Ich fliege weiter nach Moskau. Ich bin gern in dieser größten europäischen Metropole. Es mag in Propaganda geschundenen deutschen Ohren seltsam klingen, aber ich fühle mich dort freier. Das enge Deutsche, der Hang zum Totalitarismus, den wir offenbar haben und der sich aktuell ganz deutlich beispielsweise in der Makroökonomie auslebt, findet sich dort nicht. Es ist die große Gelassenheit gegenüber der Andersartigkeit, die mich beeindruckt. Wo wir als Deutsche missionieren und belehren, gibt Russland Raum zur Entfaltung und Erprobung. Das ist eine große Tugend, die uns völlig fehlt. Domodedovo ist einer der drei Moskauer Flughäfen und mein Zielflughafen. Er steht heute ganz im Zeichen der FIFA. Alles ist bunt, alles ist lebendig, alles noch ein bisschen quirliger als sonst. Für den nächsten Monat werde ich bei meinem Freund Pawel unterkommen. Für den Abend verabreden wir uns mit Freunden. Wir treffen uns für einen Bummel durch die Innenstadt am Puschkin-Platz. Wir treffen Dima und seinen Partner Anton. Sie leben zusammen. Beide sind ganz angetan von der Atmosphäre, von der an diesem frühen Abend bereits Moskau getragen wird. Das letzte Vorrundenspiel ist noch nicht zu Ende, doch die Innenstadt Moskaus ist bereits sehr gut besucht. Überall sind Fans zugegen. Dima spricht von Völkerverständigung, wie wichtig es ist, sich kennenzulernen. Ich habe das Gefühl, nicht nur für ihn wird hier gerade eine große Idee Wirklichkeit. Es mag ein Erbe der Sowjetunion sein: Noch heute glauben Russen in einem ganz anderen Ausmaß als wir an die Notwendigkeit von Austausch und Begegnung zwischen den Nationen und Kulturen. Frieden ist Ergebnis der Begegnung von konkreten Menschen. Wir besuchen ein Restaurant. Es gibt typisch russisches Essen, Pelmeni, Bortsch. Ganz dem Klischee entsprechend, stoßen wir mit Wodka an. Es gibt unglaublich viele Vorurteile über Russen und Russland, eins der wenigen, an dem etwas Wahres dran ist, ist das Vorurteil mit dem Wodka. Man kommt nicht um ihn herum. Das Restaurant ist nahe an seiner Grenze, es ist ein beständiges Kommen und Gehen. Mexikaner, Argentinier, Deutsche. Meine russischen Freunde genießen mit mir die Atmosphäre. Ich glaube, ich interpretiere, es ist Wertschätzung, was sie fühlen und was sie in diesem Moment erfüllt. In mir steigt Freude auf. Ich freue mich für Russland. Die Wertschätzung ist verdient. Auch die Straße füllt sich, es wird gesungen und getanzt. So ausgelassen habe ich Moskau noch nie erlebt. Wir gehen auf die Straße, lassen uns vom Treiben mitreißen. Überall Landesflaggen. Eine zieht in besonderer Weise meine Aufmerksamkeit auf sich. Es ist die syrische Flagge. Ich frage die junge Frau, die die Flagge hält, ob sie aus Syrien sei. Sie bejaht. Woher ich sei, will sie wissen. Aus Deutschland. Ihr warmes Lächeln kühlt merklich ab. Wir haben uns durch unserer Positionierung offenkundig nicht nur Freunde gemacht. Warum mit der russischen Flagge, frage ich. Russland hilft uns im Kampf gegen den Terrorismus. Hier eröffnet sich in einem Satz eine ganz andere Sicht auf die Vorgänge in Syrien. Eine, von der wir in Deutschland durch die Verweigerung der deutschen Medien, echten Journalismus zu liefern, gut abgeschirmt sind. Doch die Position hat ihre Berechtigung. Unser Diskurs ist sehr verengt.
Ich würde das mit meiner syrischen, russischsprachigen Gesprächspartnerin gerne
weiter vertiefen, aber es ist offenkundig weder der Ort noch die Zeit, das zu
tun. Der Strom zieht uns weiter. Wir besuchen zunächst eine, dann eine weitere
Gay-Bar in der Moskauer Innenstadt. Auch hier dreht sich alles um Fußball. Dima
wird mit jeder Minute euphorischer.
Ich studierte Philosophie und Germanistik in Frankfurt am Main, lebe in Berlin und arbeite als Pädagoge in der Sozialpsychiatrie. Seit 2014 reise ich häufig nach Russland und berichte über meine Erfahrungen dort. Ich schreibe regelmäßig für RT Deutsch. Link zum Originaltext bei ' nachdenkseiten.de ' ..hier
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